Oft liest man, die Dörfer stürben. Dagegen überrascht, dass viele Familien z.B. in ländlichen Siedlungen wie Ittenbach bei Königswinter und in Oedingen im Landkreis Ahrweiler Leben. Sind das Einzelfälle?
Wiegandt: Das Dorf im klassischen Sinne gibt es heute kaum noch. Viele Dörfer sind heute städtisch überformt. Das gilt vor allem für die Dörfer, die im Umland der großen Städte liegen. Dazu gehören auch Ihre beiden Beispiele. Seit den 60er Jahren haben vor allem Familien mit Kindern die Kernstädte verlassen, um in Dörfern am Stadtrand Häuser zu bauen und hierher zu ziehen. In den vergangenen Jahren ist dieser Zuzug von der Stadt aufs Land allerdings etwas zurückgegangen. Das liegt daran, dass viele Familien heute kinderlos bleiben oder der Kinderwunsch erst im höheren Alter erfüllt wird.
Malburg-Graf: Sicher nicht. Es gibt Regionen, in denen Dörfer gut aufgestellt sind, weil junge Menschen dort bleiben möchten, Arbeit finden und eine Familie gründen. Gerade in Baden-Württemberg sind die Lebensverhältnisse in den ländlichen Räumen mit einer starken mittelständischen Wirtschaft im Vergleich zum Beispiel mit strukturschwachen ländlichen Regionen in Ostdeutschland sehr gut. Es gibt Dörfer, die einen Zuzug junger Familien oder Menschen mittleren Alters erleben, weil sie attraktiv sind. Das betrifft insbesondere verkehrsgünstig gelegene Orte im Umfeld von Städten. Häufig gibt es auch den Fall, dass ein Hauptort oder eine Kernstadt im ländlichen Raum wie Sinsheim im Rhein-Neckar-Kreis an Bevölkerung gewinnt, während eingemeindete, weiter entfernt liegende, Dörfer Bevölkerung verlieren.
Warum sterben einerseits Dörfer, andere blühen hingegen auf?
Malburg-Graf: Zum einen liegt es daran, ob man eine Arbeit, oder einen Ausbildungsplatz in der Nähe oder auch einen Studienplatz in einer nahe gelegenen Stadt findet. Auch in ländlichen Regionen gibt es Mittelstädte wie Biberach an der Riß (Oberschwaben), wo es zum Beispiel eine Fachhochschule gibt. Außerdem sind viele bereit sehr weite Wege zum Arbeitsplatz zurückzulegen, um dafür an einem naturnahen Ort und im bekannten Umfeld leben zu können. Sicher ist für Familien die Ausstattung mit Schulen und Einrichtungen der Kinderbetreuung wichtig. Aber auch die Verkehrsanbindung und ein schneller Internet-Anschluss spielen eine große Rolle. Zum anderen ist auch der Freizeitwert wichtig. Eine Gemeinde, die verschiedene Freizeit- und Sportmöglichkeiten anbieten kann, ist im Vorteil.
Es blühen vor allem die Dörfer auf denen es gelingt, neue Wege zu gehen, indem sie es etwa schaffen, ihre Bürgerschaft für ein besseres Miteinander zu mobilisieren und die in touristisch attraktiven Regionen liegen wie in der Bodenseeregion, im Allgäu oder im Südschwarzwald.